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Blutende Fahrer und grosse Sieger

Die «Züri-Metzgete» ist das älteste Schweizer Radrennen - Sie wird 100-jährig.

NZZ 20100903
Seit 1928 eine gefürchtete Steigung im «Züri-
Metzgete»-Parcours: der Siglistorfer.

Als Ende Mai 1910 zur 1. Meisterschaft von Zürich gestartet wurde, stand nicht das Radrennen, sondern  eine Fahnenweihe im Vordergrund. Mit den Einnahmen aus dem Rennen hoffte der VC Westfalen Zürich die Mittel zu beschaffen, welche beim Ankauf eines edlen, aber viel zu teuren Stoffes fehlten. Wegen schlechter Wetterprognosen wurde die Premiere um drei Wochen auf den 28. Mai 1910 verschoben, weil die Fahnenweihe nur bei schönstem Frühlingswetter stattfinden sollte. 76 Fahrer starteten zur 100-km-Fahrt ins Zürcher Oberland, und in Schwamendingen wurde die Ankunft des Siegers Paul Suter vor einer «zahlreichen Zuschauermenge mit Trompetenstössen angekündigt».
Ob traditionellerweise im Mai, später im August oder sogar Anfang Oktober, die «Züri-Metzgete» rollte tatsächlich oft bei prächtigem Wetter - allerdings mit Ausnahmen. So etwa 1987, als ein Betreuer den völlig durchfrorenen deutschen Sieger Rolf Gölz von seinem Arbeitsgerät heben musste. 1951 war es noch dramatischer: Nur 13 Berufsfahrer wurden klassiert; von 170 gestarteten Amateuren erreichten nur 16 das Ziel. Schon kurz nach dem Start hatte Schneetreiben eingesetzt; die 5 Spitzenfahrer streckten gemeinsam die Waffen, viele Fahrer suchten Schutz in Häusern oder in Begleitautos. Auf der Hulftegg lagen 10 Zentimeter Schnee, und auf der Wagenbreche hatten Zuschauer ein Feuer entfacht, an dem sich mehrere Amateure wieder aufwärmten. Der Radfahrer-Verein Zürich verdankte den total 171 Angekommenen (von 909 Gestarteten), dass das Rennen nicht «mangels Aktiver» eingestellt werden musste.

Start um 3 Uhr morgens

Schon beim ersten Rennen mussten die Fahrer um 5 Uhr in den Sattel steigen, später schon um 3 Uhr im Scheinwerferlicht einiger Begleitfahrzeuge. Anfänglieh musste das Rennen bis zur Sonntagspredigt beendet sein. Auch später starteten die ersten Kategorien in der Morgendämmerung, weil «wegen dem starken Sonntagsverkehr» Radrennen nur bis zum Mittagessen erlaubt waren.
Den populären Namen «Züri-Metzgete» hat das Rennen schon früh erhaltten. Eine Erklärung dafür sind die vielen len Stürze und Defekte, die damals auf den Naturstrassen zu beklagen waren. Viele Teilnehmer kamen nach schweren Stürzen mit offenen Wunden ins Ziel, was Zuschauer angesichts der blutenden Fahrer zum Ausspruch veranlasst haben soll: «Das sieht ja aus wie an einer Metzgete.»
Von 1968 bis 2006 gehörte die Meisterschaft von Zürich zu den internationalen Wertungen Superprestige, Weltcup oder Pro Tour. Eingeleitet wurde diese Phase vom früh verstorbenen Zürcher Architekten Rolf Castelnuovo, und aus dieser Ära findet man illustre Namen im «Goldenen Buch»: Es siegten oder belegten Podestplätze: Franco Bitossi, die Belgier Walter Godefroot, Roger De Vlaeminck, Eddy Merckx, Freddy Maertens und Johan Museeuw, die Italiener Francesco Moser, Giuseppe Saronni, Maurizio Fondriest, Gianni Bugno, Claudio Chiappucci und Paolo Bettini, der Deutsche Didi Thurau, die Amerikaner Greg LeMond und Lance Armstrong, der Luxemburger Fränk Schleck sowie die Schweizer Beat Breu und Tony Rominger.
Schon bevor das Rennen 2007 erstmals nach 90 Jahren wegen fehlender Finanzen ausfiel, hatte die Classique einige Krisen zu überwinden. Etwa Anfang der 1970er Jahre, als die finanzielle Basis fehlte, aber auch 1993, als die lange Partnerschaft mit dem «Tages-Anzeiger» beendet wurde. Die «Züri-Metzgete» war lange das einzige Weltcup-Rennen, an dem am gleichen Tag vom Anfänger bis zum Professional alle über die gleiche Strecke fuhren. Diesen exklusiven Status verlor der Anlass, als 1993 die Sportcom des Elsässers Serge Lang die «Metzgete» vor dem Untergang rettete. Der Preis dafür war hoch: Das Rennen wurde bis 1998 in «Grand Prix Suisse» umgetauft, führte von der Muba Basel auf die offene Rennbahn Oerlikon. Und die Amateur- sowie die Nachwuchsrennen fanden nur noch sporadisch statt.

Weiterhin für alle Kategorien

Dass nach der unfreiwilligen Pause 2007 ein Jahr später wieder zu einer «ZüriMetzgete» gestartet wurde, hatte zwei Gründe. Zum einen reifte im Radfahrer-Verein Zürich der Entschluss, wieder wie ganz am Anfang kleinere Brötchen zu backen. Zum andern legten im Zürcher Unterland ein Dutzend radsportbegeisterter Unternehmer als «Freunde der <Züri-Metzgete»> den finanziellen Grundstein und fanden mit der EKZ einen Hauptsponsor. Die neue «Züri-Metzgete» ist weiterhin für alle Kategorien offen; mit über 800 Teilnehmern ist die «Volksmetzgete» das starke Standbein.
Die «Züri-Metzgete» wird seit 2008 auf einem Teil des früheren Originalparcours im Zürcher Unterland ausgetragen. In den ersten Jahren führte die MvZ nur über 100 und 150 km, erst ab 1927 betrugen die  istanzen mehr als 200 km. Während vieler Jahre folgten in einer grossen Schlaufe durch das Zürcher Oberland und zurück bis zum Rhein die gefürchteten Steigungen von Fisibach zur Siglistorfer Höhe (auf  Naturstrasse) und von Dielsdorf oder Sünikon nach Regensberg. Der Siglistorfer wurde 1928 erstmals in den Parcours eingebaut - und zwar unfreiwillig, weil wegen der Maul- und Klauenseuche die Strecke geändert werden musste.

Walter Leibundgut.
Originalartikel als PDF